Ungarn: Das neu ungarische Arbeitsgesetzbuch

Am 1. Juli 2012 ist das neue Arbeitsgesetzbuch in Kraft getreten, welches die Regelung der Arbeitsverhältnisse grundlegend geändert hat. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Änderungen zusammen.

I. Mindestinhalt des Arbeitsvertrages

Der Arbeitsvertrag muss schriftlich abgeschlossen werden und als Mindestinhalt die Höhe des Grundgehalts sowie den Aufgabenbereich des Arbeitnehmers regeln. Im Gegensatz zu den früheren Regeln ist der Arbeitsplatz nicht mehr zwingend im Arbeitsvertrag festzulegen, was jedoch ratsam ist. Hier ist darauf zu achten, dass Arbeitsplatz (woher die Weisungen erteilt werden und die Aufnahme der Arbeit erfolgt) und Arbeitsort (tatsächlicher Ort der Arbeitsverrichtung) nicht das Gleiche sind. Als Arbeitsplatz können mehrere Betriebsstätten/Geschäfte des Arbeitgebers oder auch eine oder mehrere größere geographische Einheiten (Komitat, Region, unter Umständen auch ausländische Staaten) angegeben werden. In diesem Fall ist der Arbeitgeber berechtigt, den tatsächlichen Ort der Arbeitsverrichtung einseitig festzulegen. Dabei sind jedoch berechtigte Interessen des Arbeitnehmers zu beachten. Seit dem 1. Juli 2012 kann kein wechselnder Arbeitsplatz bestimmt werden, unter dem im Arbeitsvertrag bestimmten wechselnden Arbeitsplatz ist der gewöhnliche Arbeitsplatz zu verstehen.

II. Wettbewerbsklausel

Eine Wettbewerbsklausel kann seit dem 1. Juli 2012 maximal für einen Zeitraum von zwei Jahren festgelegt werden. Dem Arbeitnehmer ist ein angemessenes Entgelt zu zahlen, das gesetzliche Minimum ist ein Drittel des Grundgehalts. Für Wettbewerbsklauseln, die vor dem Inkrafttreten des neuen Arbeitsgesetzbuches vereinbart wurden, sind die Vorschriften des früheren Arbeitsgesetzbuches anwendbar.

III. Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Mit Inkrafttreten des neuen Arbeitsgesetzbuchs ist auch die Kündigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses in bestimmten Fällen möglich. So während des Insolvenzverfahrens, bei mangelhaften Fähigkeiten des Arbeitnehmers oder wenn die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wegen eines nicht vermeidbaren Grundes unmöglich ist.

Gemäß der neuen Regelung sind die Parteien berechtigt, eine Kündigung bis ein Jahr nach Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuschließen.

Ein Kündigungsverbot besteht nunmehr in folgenden Fällen

  • Schwangerschaft (nur wenn der Arbeitgeber über die Schwangerschaft informiert wurde)
  • Mutterschutzurlaub
  • Unbezahlter Urlaub wegen Betreuung des Kindes
  • Freiwilliger Dienst als Reservist
  • Ärztliche Behandlung der Frau i.V.m. der künstlichen Befruchtung, aber höchstens bis 6 Monate nach Behandlungsbeginn (nur wenn der Arbeitgeber über die Behandlung informiert wurde)

Folgende Kündigungsverbote hingegen entfallen

  • Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit
  • Erwerbsunfähigkeit wegen Pflege des kranken Kindes
  • Unbezahlter Urlaub wegen Pflege eines Angehörigen

In diesen Fällen ist eine Kündigung möglich, die Kündigungsfrist beginnt jedoch erst mit der Rückkehr des Arbeitnehmers an den Arbeitsplatz.

Die Kündigungsfrist beträgt nach wie vor grundsätzlich 30 Tage und verlängert sich je nach Dauer des Arbeitsverhältnisses, jedoch nur im Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber. Der Tarifvertrag oder eine Vereinbarung der Parteien kann eine Kündigungsfrist von höchstens 6 Monaten (anstatt der früheren Jahresfrist) festlegen.

Im Falle einer rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann das entgangene Einkommen höchstens bis zu einem Betrag in Höhe eines zwölfmonatigen Abwesenheitsgeldes als Schaden geltend gemacht werden, wobei dem Arbeitnehmer eine ausdrückliche Schadenminderungspflicht obliegt. Der frühere Pauschalschadenersatz (zwei- bis zwölfmonatiges Durchschnittsgehalt) wurde abgeschafft. Das Arbeitsverhältnis endet zum Zeitpunkt der ursprünglichen (rechtswidrigen) Rechtserklärung und nicht mehr zum Tag des die Rechtswidrigkeit feststellenden rechtskräftigen Gerichtsbeschlusses. In der Umsetzung bedeutet dies, dass das entgangene Einkommen für die Dauer des Gerichtsprozesses – im Gegensatz zur früheren Regelung – nicht zu zahlen ist.

IV. Arbeitszeitkonto

Neu eingeführt wurde darüber hinaus, dass die Arbeitszeit über ein Arbeitszeitkonto flexibel gestaltet werden kann. Beim Arbeitszeitkonto kann die Arbeitszeit in der Weise eingeteilt werden, dass der Arbeitnehmer die wöchentliche Arbeitszeit (auf Basis der täglichen Arbeitszeit und der allgemeinen Arbeitsordnung kalkuliert) in einem von dem Arbeitgeber festgelegten längeren und mit der betreffenden Woche beginnenden Zeitraum erfüllt. Die gleichzeitige Anwendung von Arbeitszeitrahmen und Arbeitszeitkonto ist ausgeschlossen.

V. Arbeitsentgelt

Das Durchschnittsgehalt („átlagkereset“) wurde durch das Abwesenheitsgeld („távolléti díj“) abgelöst. Die Kalkulationsregeln des neuen Arbeitsgesetzbuchs bzgl. des Abwesenheitsgelds treten jedoch erst am 1. Januar 2013 in Kraft.

VI. Lohnzuschläge

Das Grundgehalt kann im Arbeitsvertrag so vereinbart werden, dass auch bestimmte Lohnzuschläge (Sonntagszuschlag, Feiertagszuschlag, Schichtzuschlag und Nachtarbeitszuschlag) damit bereits abgegolten sind. Für Überstunden und bei einem Grundgehalt, das den gesetzlichen Mindestlohn (zzt. HUF 93.000) nicht übersteigt, kann eine solche Vereinbarung nicht getroffen werden. Es ist auch möglich, eine Monatspauschale für die Lohnzuschläge zu vereinbaren. Die Pauschale ist für die verschiedenen Lohnzuschläge einzeln festzulegen. Im Fall des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft ist es möglich, eine Monatspauschale für die tatsächliche Arbeitsverrichtung und die Lohnzuschläge zu vereinbaren. Eine Pauschale jedoch, welche auch das dem Arbeitnehmer unabhängig von Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft zu zahlende Arbeitsentgelt beinhaltet, ist ungültig. Die Unterscheidung zwischen Nachtschicht- und Nachmittagsschichtzuschlag wurde abgeschafft. Ein einheitlicher Schichtzuschlag von 30% ist anwendbar für die Arbeitsverrichtung zwischen 18 und 6 Uhr, wenn sich der Anfangszeitpunkt der Arbeitszeit gemäß der Arbeitsordnung regelmäßig ändert.

VII. Arbeitgeberrechte ausübende Person

Ab dem 1. Juli 2012 dürfen die Arbeitgeber die Ausübung der Arbeitgeberrechte selbst regeln und können dementsprechend die Person, die zur Ausübung der Arbeitgeberrechte berechtigt ist, selbst bestimmen. § 28 des Firmengesetzes (Gesetz Nr. IV aus dem Jahre 2006 über die Wirtschaftsgesellschaften), der die Ausübung der Arbeitgeberrechte bei Gesellschaften geregelt hat, wurde entsprechend außer Kraft gesetzt. Gemäß der neuen Regelung kann eine Bevollmächtigung nicht nur bzgl. der Zustellung/Mitteilung der Maßnahme des Arbeitgebers sondern auch bzgl. der Ausübung der Arbeitgeberrechte selbst (z.B. die Entscheidung bzgl. der Kündigung) erteilt werden. Die Arbeitgeberrechte können also sogar aufgrund einer Spezialvollmacht ausgeübt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass die Arbeitnehmer über die die Arbeitgeberrechte ausübende Person schriftlich informiert werden müssen. Falls die Arbeitgeberrechte nicht durch den Berechtigten ausgeübt worden sind, ist dies aufgrund der nachträglichen Zustimmung des Berechtigten gültig.

VIII. Leitende Angestellte – wesentliche Änderung

Als leitende Angestellte gelten der Leiter des Arbeitgebers und sein Vertreter. Ab dem 1. Juli 2012 können Arbeitnehmer, die mit einem bedeutenden oder erhöhtes Vertrauen voraussetzenden Arbeitsbereich betraut sind, nur dann leitende Angestellter sein, wenn ihr Grundgehalt das Siebenfache des Mindestlohns übersteigt. Früher war der Eigentümer oder das leitende Organ berechtigt, neben den Leitern weitere Arbeitnehmer bzgl. bestimmter Regeln als Leiter zu qualifizieren. Bei diesen Arbeitnehmern ist der Arbeitsvertrag zu überprüfen bzw. zu modifizieren.

IX. Kollektives Arbeitsrecht

Gemäß dem neuen Arbeitsgesetzbuch ist nur diejenige Gewerkschaft zum Abschluss eines Tarifvertrages berechtigt, deren bei dem Arbeitgeber beschäftigten Mitglieder 10% der beschäftigten Arbeitnehmer ausmachen. Diejenigen Tarifverträge, die von einer Gewerkschaft abgeschlossen wurden, welche gemäß der neuen Regelung zum Abschluss eines Tarifvertrages nicht berechtigt sind, werden am 1. Januar 2013 ungültig.

X. Ergänzende Hinweise

Einige Vorschriften des neuen Arbeitsgesetzbuches - z.B. bzgl. der vom Arbeitsvertrag abweichenden Beschäftigung (z.B. Entsendung), des Urlaubs und der Kalkulation des Abwesenheitsgeldes - werden erst am 1. Januar 2013 in Kraft treten.

Die vorliegende Zusammenfassung stellt keine taxative Auflistung der Änderungen im ungarischen Arbeitsrecht dar. Das neue Arbeitsgesetzbuch wird von weiteren Details geprägt und es gibt zahlreiche andere Punkte, bei denen die früheren Vorschriften nicht mehr anwendbar sind.

Es ist darauf hinzuweisen, dass keine gesetzliche Pflicht zur Modifizierung der vor dem Inkrafttreten des neuen Arbeitsgesetzbuches abgeschlossenen Arbeitsverträge besteht. Vorschriften in Arbeits- und Tarifverträgen, die mit dem neuen Arbeitsgesetzbuch unvereinbar sind, sind nichtig. Die Überprüfung der Arbeitsverträge wäre trotzdem ratsam, da die nichtigen Regeln der Arbeitsverträge zu identifizieren sind und es vorkommen kann, dass die anwendbaren Hilfsregeln des Arbeitsgesetzbuchs für das gegebene Rechtsverhältnis dem Arbeitgeber nicht von Vorteil sind (z.B. gelten die von dem Hauptorgan als Leiter qualifizierte Arbeitnehmer gemäß der neuen Regelung nicht mehr als Leiter). Des Weiteren können Referenzen auf Paragraphen des alten Arbeitsgesetzbuchs zu Rechtsunsicherheiten führen. Denn es ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich bei solchen Referenzen um eine rein technische Referenz auf die allfälligen arbeitsrechtlichen Vorschriften handelt oder diese eine tatsächliche Vereinbarung darstellen, die einen sui generis Rechtstitel für die Anwendung der Bestimmungen des alten Arbeitsgesetzbuchs begründen.

Dr. Beatrix Fakó (Budapest)
Dr. Gréta Baksa