Justitia 4.0 – das Für und Wider digitaler Gerichtsprozesse und Notariatsakte in Deutschland

Nach der Vorschrift des § 128a ZPO ist eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung für Zivilprozesse bereits seit längerer Zeit grundsätzlich zulässig. Gleiches gilt für den Verwaltungs- (§ 102a VwGO), den Finanz- (§ 91a FGO), den Arbeits- (§ 46 Abs. 2 ArbGG) und Sozialgerichtsprozess (§ 110a SGG). Nach den genannten Vorschriften können nicht nur Erörterungstermine, sondern auf Antrag auch Vernehmungen von Zeugen, Sachverständigen oder eines Beteiligten durchgeführt werden. Für den Bereich des Strafrechts gelten zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und angesichts einer grundsätzlichen Anwesenheitspflicht der Prozessparteien nur differenziertere Regelungen zum Einsatz von Videotechnik. So sind beispielsweise Zeugenaussagen per Video nur in ganz seltenen Ausnahmefällen möglich, wenn dies dem Opferschutz oder der Abwehr der Gefahr des Beweismittelverlustes dient.

Am 10.6.2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) verabschiedet Das Gesetz tritt am 1.8.2022 in Kraft. Mit dem Gesetz wird ein Online-Beurkundungsverfahren für GmbH-Gründungen und ein Online-Beglaubigungsverfahren für bestimmte Handelsregisteranmeldungen eingeführt. Anlass für die Einführung des notariellen Online-Verfahrens ist die Umsetzung der europäischen Digitalisierungsrichtlinie. Das Online-Verfahren steht zukünftig ausschließlich für GmbH-Bargründungen und Anmeldungen zum Handelsregister betreffend Kapitalgesellschaften, Einzelkaufleuten und Zweigniederlassungen von in- und ausländischen Kapitalgesellschaften zur Verfügung.

Nach den genannten Vorschriften können nicht nur Erörterungstermine, sondern auf Antrag auch Vernehmungen von Zeugen, Sachverständigen oder eines Beteiligten durchgeführt werden. In technischer Hinsicht ist erforderlich, dass die Verhandlung bzw. Vernehmung „zeitgleich in Bild und Ton“ an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Bei Videoverhandlungen wird der Öffentlichkeitsgrundsatz in der Praxis regelmäßig dadurch gewahrt, dass in einem Gerichtssaal ein Bildschirm aufgestellt wird. Die Übertragung wird dabei allerdings nicht aufgezeichnet oder online gestreamt. Unabhängig davon, ob auf Seite des Gerichts stationäre Videokonferenzanlagen zum Einsatz kommen oder auf softwarebasierte Cloud-Lösungen gesetzt wird, ist am „anderen Ort“ zumeist keine besondere Technik erforderlich. Eine Teilnahme ist in aller Regel schon mit jedem handelsüblichen Internet¬browser und einer Webcam möglich.

Die Online-Beurkundung ist gemäß § 16a Abs. 1 BeurkG n.F. ausschließlich über das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem nach § 78p BNotO n.F. zulässig. Die Bundesnotarkammer erhält damit dementsprechend als weitere Pflichtaufgabe den Aufbau und den Betrieb eines solchen Videokommunikationssystems. Die obligatorische Nutzung des Videokommunikationssystems der Bundesnotarkammer schließt die Nutzung anderer, auf dem Markt befindlicher Videokommunikationssysteme aus.

Von der Möglichkeit einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung wird aus unserer Erfahrung bisher nur vereinzelt Gebrauch gemacht. Dabei werden die Prozessbeteiligten im Gerichtssaal, in dem die Richterinnen und Richter persönlich anwesend sind, auf den Großbildschirm zugeschaltet und können an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Entsprechende Verhandlungen liefen bisher jedoch ohne größere technische Probleme ab, sodass nach einer ersten Kennenlernphase für alle Beteiligte zu erwarten ist, dass die Zahl der Videoverhandlungen in Zukunft ansteigen wird. Nach den bisherigen Erfahrungen liegt es nahe, dass sich bestimmte Verfahren besser für Videokonferenzen eignen als andere. So sind Verhandlungen, die sich im Wesentlichen auf die Erörterung von Rechtsfragen beschränken, selbstverständlich besser geeignet als solche, in denen die Wahrnehmung von Beteiligten im Rahmen von Anhörungen oder Vernehmungen eine wichtige Rolle spielt.

Notarielle Video-Beurkundungen sind in Deutschland aktuell aus Rechtsgründen nichtmöglich. Beurkundungen von Willenserklärungen und Unterschriftsbeglaubigungen sind ausschließlich in Präsenz vorgesehen. Aus diesem Grund gibt es insoweit auch (noch) keine Erfahrungsberichte. Ausnahme hiervon ist lediglich die notarielle Begleitung (Erstellung von notariellen Hauptversammlungsprotokollen) von Hauptversammlungen, die schon seit Frühjahr 2020 per Videokonferenz abgehalten werden können.



Autor: Dr. Axel Berninger