Allianz: ESG-Regulatorik: Worauf Unternehmen sich jetzt einstellen müssen

In den letzten Monaten verabschiedete das EU-Parlament eine hohe Anzahl an ESG-bezogenen (ESG: Environmental, Social und Governance) Gesetzesvorhaben. Angesichts der Geschwindigkeit und Vielzahl der neuen Gesetze ist es für Unternehmen und Organisationen wichtig, über die aktuellen Entwicklungen in der ESG-Gesetzgebung informiert zu bleiben. Folgend geben wir einen Überblick über die aktuellen ESG-regulatorischen Anforderungen im Maßnahmenpaket rund um den Green Deal und erläutern, was Unternehmen in naher Zukunft beachten sollten.

Einen umfassenden Ausblick über das aktuelle ESG-Framework finden Sie hier. Auch wenn die Gesetzesvorhaben abhängig von Unternehmensgröße, Umsatzzahlen und weiteren Faktoren sind, ist eine klare Richtung absehbar: die EU soll nachhaltiger werden.


Inhaltsübersicht

I. Der Green Deal 
II. CSRD: Wer ist von der Nachhaltigkeitsinformationspflicht betroffen?
III. ESRS: Wie ist über Nachhaltigkeitsleistungen zu berichten?
IV. Taxonomie-VO: Welche Investitionen sind nachhaltig?
V. Renaturierungsgesetz: Welche Maßnahmen sind vorgesehen?
VI. EU-Lieferkettengesetz: Wer zählt zum Anwendungsbereich?
VII. Greenwashing: Wie wird die Kommunikation geregelt?
VIII. Was sind die Herausforderungen und Chancen für Unternehmen?

 


I. Der Green Deal 

Im Europäischen Green Deal, der im Jahr 2019 vorgestellten Strategie zu einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft, hat sich die EU das übergeordnete Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Zur Verwirklichung der Ziele des Green Deals sind umfangreiche Investitionen notwendig. Im Zuge dessen wurden verschiedene Modelle implementiert, um sicherzustellen, dass Investitionen genau dort getätigt werden, wo die EU den größten Nutzen im Hinblick auf die relevanten Ziele identifiziert hat.

Der Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft erfordert eine klare Verständigung darüber, was Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und Außenkommunikation bedeutet und wie sie gemessen und berichtet werden kann.

II. CSRD: Wer ist von der Nachhaltigkeitsinformationspflicht betroffen?

Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt es signifikante Veränderungen sowohl im Umfang als auch in den Methoden. Die Richtlinie (EU) 2022/2464 über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) trat am 5. Januar 2023 in Kraft. Als Nachfolge der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) verpflichtet die CSRD große Unternehmen sowie börsennotierte Klein- und Mittelunternehmen in der EU, detailliert über ihre Umwelt- und Sozialauswirkungen zu berichten. Ein wesentlicher Bestandteil der CSRD ist die Einführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse, die Unternehmen dazu verpflichtet, ihre wesentlichen Auswirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft, als auch die finanziellen Auswirkungen der Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen zu berücksichtigen. Die Einführung der CSRD erfolgt schrittweise. Die ersten Unternehmen werden die neuen Regeln erstmals im Geschäftsjahr 2024 für Berichte anwenden müssen, die im Jahr 2025 veröffentlicht werden.

III. ESRS: Wie ist über Nachhaltigkeitsleistungen zu berichten?

Die CSRD fordert eine transparente und vergleichbare Nachhaltigkeitsberichterstattung, indem sie die Art und den Inhalt der Berichte durch die Verwendung von einheitlichen europäischen Berichtsstandards, den ESRS (European Sustainability Reporting Standards) vorschreibt. Das Ziel ist die Qualität der Berichte zu verbessern und die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsberichterstattung in der EU zu erhöhen. Die Standards wurden am 22.12.2023 veröffentlicht und sind im Rahmen der CSRD anzuwenden.

IV. Taxonomie-VO: Welche Investitionen sind nachhaltig?

Um die Klima- und Energieziele der EU zu erreichen, müssen zukünftige Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden. Die EU-Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das festlegt, welche Wirtschaftsaktivitäten als „nachhaltig“ gelten können. Die mit 1. Januar 2022 in Kraft getretene Verordnung umfasst bis dato sechs Umweltschutzziele, beispielsweise Klimawandelanpassung und der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft. Gemäß der Verordnung ist eine Wirtschaftstätigkeit als nachhaltig einzustufen, wenn sie einen substanziellen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer Umweltziele leistet und gegen keines der anderen Ziele verstößt, unter Einhaltung der sozialen Mindeststandards (Menschenechte, Arbeitsbedingungen etc).

Die EU-Taxonomie-Verordnung ist eng mit der CSRD verknüpft, da Unternehmen, die nach CSRD berichten, auch darlegen müssen, wie und in welchem Umfang ihre Aktivitäten mit der EU-Taxonomie übereinstimmen.

V. Renaturierungsgesetz: Welche Maßnahmen sind vorgesehen?

Am 17. Juni 2024 wurde die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (2022/0195 (COD) („Renaturierungsgesetz“) beschlossen. Die Verordnung verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten bis 2030 mindestens 30 % der Ökosysteme, für die die neuen Vorschriften gelten (Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosysteme) von schlechtem in guten Zustand zu versetzen. Es folgt eine schrittweise Steigerung: im Jahr 2040 sollen es 60% und bis 2050 90% sein. Zu den Ausnahmebestimmungen, die Verschlechterungen außerhalb der Natura-2000-Gebiete betreffen, gehören: höhere Gewalt, einschließlich Naturkatastrophen; unvermeidbare Veränderungen des Lebensraumes, die unmittelbar durch den Klimawandel verursacht werden oder wenn für ein Projekt von öffentlichem Interesse keine weniger schädlichen Alternativlösungen zur Verfügung stehen. Weiters regelt die Verordnung die Wiederherstellung von Meeres-, städtischen und landwirtschaftlichen Ökosystemen. Bspw. im städtischen Bereich sollen keine Grünflächen verloren gehen und ihr Anteil bis 2050 ansteigen. Gleichzeitig soll die Zahl der Bäume in den Städten erhöht werden. Entwässerte Moore sollen wiedervernässt werden und Flüsse durch den Abbau physischer Hindernisse wieder frei fließen. Wälder sollen wieder natürlicher wachsen und etwa Totholz nicht mehr entfernt werden.

Die geplanten Maßnahmen sollen zum Schutz und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beitragen, den Klimaschutz positiv beeinflussen und die Resilienz der Ökosysteme gegenüber Naturkatastrophen erhöhen. Finanziell attraktive Finanzierungsprogramme sollen die Freiwilligkeit an Umsetzungsmaßnahmen fördern.

VI. EU-Lieferkettengesetz: Wer zählt zum Anwendungsbereich?

Die EU-Lieferketten Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) wurde einige Jahre diskutiert. Am 24.5.2024 wurde die CSDDD formell verabschiedet. Die neue Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen ihre negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Menschenrechte und die Umwelt, wie Kinderarbeit, Umweltverschmutzung oder Verlust der biologischen Vielfalt, ermitteln und erforderlichenfalls verhindern, beenden oder abmildern müssen.

Der Anwendungsbereich umfasst EU- und Drittstaaten-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über 450 Millionen Euro. Unternehmen müssen einen Übergangsplan (transition plan) zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens (Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°Grad) umsetzen. Die CSDDD zielt darauf ab, die Bemühungen der EU-Mitgliedstaaten zu harmonisieren, indem sie einheitliche Anforderungen für die Due-Diligence-Pflichten von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt schafft. Je nach Unternehmensgröße gelten unterschiedliche Übergangszeiträume: 2027 (3 Jahre nach Inkrafttreten) ist die Richtlinie für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und 1,5 Milliarden Euro Umsatz anzuwenden. Bis 2029 verringert sich der Schwellenwert auf 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro Umsatz.

Kleine und mittlere Unternehmen fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie können jedoch indirekt als Zulieferer oder Dienstleister betroffen sein.

VII. Greenwashing: Wie wird die Kommunikation geregelt?

Die Anti-Greenwashing Richtlinie (EU) Nr. 2024/825 zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel („Empowering-RL“) ist am 26. März 2024 in Kraft getreten und muss bis zum 27. März 2026 in nationales Recht der EU-Mitgliedsstatten umgesetzt werden. Die Richtlinie zielt ua. darauf ab, irreführende Umweltbehauptungen (sogenanntes "Greenwashing") zu bekämpfen, indem sie strenge Kriterien für die Verwendung von Umweltaussagen aufstellt. Allgemeine umweltbezogene Werbeaussagen wie z.B. „umweltfreundlich“, „ökologisch“ oder „energieeffizient“, müssen durch eine anerkannte hervorragende Umweltleistung nachgewiesen werden. Ebenso wird die Verwendung von Nachhaltigkeitssiegeln strenger geregelt und die Werbung mit der Kompensation von CO2-Emissionen (bspw. „CO2-neutral“) verboten.

Die Richtlinie soll das  Verbrauchervertrauen stärken und einen fairen Wettbewerb gewährleisten. Sie ist ein Baustein der EU hin zu strengeren Regelungen zur Umweltwerbung. Eine weitere Richtlinie über Umweltaussagen (2023/0085 (COD), Green Claims-RL) befindet sich im EU-Gesetzgebungsverfahren.

VIII. Was sind die Herausforderungen und Chancen für Unternehmen?

Die Einhaltung der ESG-Regulatorik erfordert von Unternehmen eine vorausschauende Planung, Investitionen an Ressourcen und eine kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Vorschriften und Erwartungen. Es ist damit zu rechnen, dass kontinuierlich Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Green Deals in Kraft treten. Zu erwähnen sind die Verordnung für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte („Ökodesign-VO“), die Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren („Right to Repair-RL“) und die Richtlinie über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) („Industrieemissions-RL“), die in den letzten Monaten auf EU-Ebene beschlossen wurden.

Neben den Aufwänden bietet die ESG-Regulatorik Unternehmen jedoch auch Chancen, die weit über die bloße Einhaltung von Vorschriften hinausgehen. Unternehmen, die frühzeitig und umfassend ESG-Ansätze integrieren, können sich als Vorreiter positionieren und sich von Wettbewerbern abheben. Kapitalgeber:innen legen zunehmend Wert auf nachhaltige Investitionen. Unternehmen mit solider ESG-Performance haben einen sichereren Zugang zu Kapital und können attraktivere Konditionen erhalten. Nachhaltige Maßnahmen können zudem die betriebliche Effizienz erhöhen und langfristig die Betriebskosten senken. Transparente und authentische ESG-Praktiken stärken das Vertrauen von Mitarbeitenden und Kunden, fördern die Markenbindung und erhöhen die Attraktivität als Arbeitgeber.

Ziel der ESG-Regulatorik ist es, Europa insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Nachhaltigkeit soll sowohl strategisch als auch operativ in die Geschäftspraktiken der Unternehmen integriert werden und die Nachhaltigkeitsleitungen sollen kontinuierlich verbessert werden.



Autor: Irene Meingast
Autor: Edwin Scharf