Entscheidungen des EuGH zur Haftung von Muttergesellschaften

Das Gericht der Europäischen Union erließ am 3. März 2011 interessante Entscheidungen über Aspekte der Haftung von Muttergesellschaften und der gesamtschuldnerischen und strengen Haftung bei Kartellen, an denen Tochtergesellschaften beteiligt waren.

Anlass waren die von der Europäischen Kommission gegen 20 Gesellschaften im Jahr 2007 verhängten Geldbußen in Höhe von insgesamt über EUR 750 Millionen aufgrund deren Beteiligung an einem Kartell auf dem Markt für gasisolierte Schaltanlagen.

Das Gericht setzte die Geldbußen einiger Mitglieder des Kartells über isolierte Schaltanlagen herab. Gegen Siemens Deutschland wurde die verhängte Geldbuße von EUR 396,6 Millionen allerdings aufrecht erhalten.

Die wettbewerbswidrigen Praktiken bestanden insbesondere in einer weltweiten Koordinierung des Verkaufs gasisolierter Schaltanlagen unter Aufteilung der Märkte, Zuteilung von Kontingenten und Erhaltung der jeweiligen Marktanteile, Zuteilung einzelner Projekte an ausgewählte Hersteller und Manipulation der Ausschreibungsverfahren, um sicherzustellen, dass die festgelegten Hersteller den jeweiligen Vertrag erhielten.

Darüber hinaus bestanden sie in der Festsetzung von Preisen durch komplexe Vereinbarungen für nicht zugeteilte Projekte, der Beendigung von Lizenzvereinbarungen mit Nichtkartellmitgliedern und dem Austausch sensibler Marktinformationen.

Hinsichtlich der Zurechnung des Verhaltens der am Kartell beteiligten Unternehmen und die Anwendung der Regeln der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen weist das Gericht darauf hin, dass Rechtssubjekte, die sich in unabhängiger Weise an einer Zuwiderhandlung beteiligt haben und in der Folge von einer anderen Gesellschaft erworben worden sind, für ihre Zuwiderhandlung vor ihrem Erwerb selbst einstehen müssen, sofern sie nicht einfach in die erwerbende Gesellschaft eingegliedert worden sind, sondern ihre Tätigkeit als Tochtergesellschaften fortgesetzt haben. In einem solchen Fall kann der Erwerber nur dann für das nach dem Erwerb an den Tag gelegte Verhalten seiner Tochtergesellschaft verantwortlich gemacht werden, wenn diese die Zuwiderhandlung fortsetzt und die Verantwortlichkeit der neuen Muttergesellschaft nachgewiesen werden kann.

Außerdem betrifft die gesamtschuldnerische Haftung nur den Teil der Geldbuße, welcher den Zuwiderhandlungszeitraum betrifft, in dem die einzelnen Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit und damit ein einheitliches Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts bildeten.

Laut Gericht ist es Aufgabe der Europäischen Kommission, den Anteil an der Zuwiderhandlung zu bestimmen, welcher - bezogen auf einen bestimmten Zeitraum - auf jede Gesellschaft im Verhältnis zu ihren Mitgesamtschuldnern entfällt. Ohne eine entsprechende Angabe der Europäischen Kommission ist davon auszugehen, dass sie die Zuwiderhandlung den Gesellschaften zu gleichen Teilen zurechnet.

Weiters stellt das Gericht fest, dass die Europäischen Kommission gegen den Grundsatz der individuellen Straf- und Sanktionsfestsetzung verstößt, sofern die verhängten Geldbußen nicht in Abstimmung mit der Dauer der Beteiligung der einzelnen Gesellschaften am Kartell innerhalb ein und desselben „Unternehmens“ (im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit) bemessen wird.