Bei Betriebsübergang keine automatische Bindung von Erwerbern an Kollektivverträge laut EUGH

Betriebsübergänge erfolgen häufig über Branchengrenzen hinweg, so dass Erwerber, selbst wenn sie wollten, nicht immer in der Lage wären, über einen Eintritt in den tarifschließenden Arbeitgeberverband Einfluss auf die Tarifvertragsinhalte zu nehmen. Dies führt zu der spannenden arbeitsrechtlichen Frage, die der EuGH (Urteil vom 18. Juli 2013 - C-426/11 - Mark Alemo-Herron u.a. ./. Parkwood Leisure Ltd.) vor kurzem zu entscheiden hatte: Dürfen Mitgliedsstaaten den Betriebserwerber an Tarifverträge binden, die nach dem Erwerb in Kraft treten und auf deren Verhandlung er keinen Einfluss hat?

Sachverhalt (in Auszügen)
Im Jahr 2002 übertrug ein kommunales Freizeitunternehmen (im Folgenden: Borough) sein Geschäft auf die CCL Limited (im Folgenden: CCL), ein privates Unternehmen, so dass die Arbeitnehmer des Ersten zu Arbeitnehmern des Zweiten wurden. Im Mai 2004 übertrug CCL das Geschäft auf Parkwood Leisure Ltd. (im Folgenden: Parkwood), ein ebenfalls privates Unternehmen. Solange das Unternehmen zu Borough gehörte, galten für die Verträge mit den Arbeitnehmern die Arbeitsbedingungen, die im Rahmen des National Joint Council for Local Government Services (im Folgenden: NJC), einem Tarifverhandlungsorgan auf der lokalen öffentlichen Ebene, ausgehandelt wurden. Im Zeitpunkt des Übergangs auf CCL galt der vom NJC für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 31. März 2004 geschlossene Kollektivvertrag. Im Mai 2004 ging das Unternehmen auf Parkwood über. Im Juni 2004 wurde im Rahmen des NJC eine neue Vereinbarung abgeschlossen, mithin nach dem Übergang des Unternehmens auf Parkwood. Diese trat rückwirkend am 1. April 2004 in Kraft und galt bis zum 31. März 2007. Parkwood vertrat die Auffassung, dass diese Vereinbarung für sie nicht bindend sei und verweigerte den Arbeitnehmern daher die darin vereinbarte Lohnerhöhung. Hiergegen wandte sich der Kläger, dessen Arbeitsvertrag auf den Kollektivvertrag verwies. Schließlich wurde der Rechtsstreit dem EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt.

Rechtlicher Hintergrund
Nach dem nationalen Recht des Vereinigten Königreichs haben die Parteien die Möglichkeit, in den von ihnen geschlossenen Vertrag eine Klausel aufzunehmen, wonach das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers periodisch von einem Dritten bestimmt wird, dem der Arbeitgeber nicht angehört. Das kollektive Arbeitsrecht des Vereinigten Königreichs sieht vor, dass tarifvertragliche Vereinbarungen dieser Art nur dann rechtsverbindlich sind, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbaren.

Die Entscheidung des EuGH
Die eingangs aufgeworfene Frage beantwortet der EuGH wie folgt: Den Mitgliedsstaaten sei es verwehrt, den Betriebserwerber an Kollektivverträge zu binden, die nach dem Erwerb in Kraft treten und an deren Verhandlungen er nicht teilnehmen könne. Der EuGH stellt in seinem Urteil darauf ab, dass es sich um den Übergang eines Unternehmens vom öffentlichen auf den privaten Sektor gehandelt habe. Der private Erwerber benötige einen Handlungsspielraum für Anpassungsmaßnahmen. Dieser Handlungsspielraum werde durch eine vom Betriebsveräußerer vereinbarte dynamische Verweisung auf Kollektivverträge erheblich eingeschränkt. Es müsse dem Erwerber möglich sein, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer auszuhandeln. Parkwood als privatrechtlich organisiertem Arbeitgeber war eine Teilnahme am NCJ jedoch verwehrt. Daher sei die Vertragsfreiheit dieses Erwerbers so erheblich reduziert, dass sein Recht auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigt werden könne.

Auswirkungen für die Praxis
Für Investoren, die ein Unternehmen in einem EU-Mitgliedsstaat erwerben, ist diese EuGH Entscheidung eine gute Nachricht. Sie stellt klar, dass der Erwerber in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen im neu erworbenen Unternehmen vornehmen zu können. Dieses Vorhaben kann jedoch nur dann erfolgreich sein, wenn die Arbeitsbedingungen nicht dauerhaft zu versteinern drohen. Anderenfalls würden Investoren von Unternehmenskäufen abgehalten. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist der Betriebserwerber bei sog. Neuverträgen an Tarifabschlüsse, auf die er keinen Einfluss nehmen konnte, gebunden.

Sofern der Arbeitgeber keinen Einfluss auf die Tarifabschlüsse nehmen kann, da ihm der Beitritt in den tarifschließenden Arbeitgeberverband z.B. wegen der Branchenzugehörigkeit verwehrt ist, bedarf die Rechtsprechung des BAG einer Anpassung. Wäre dem Arbeitgeber der Eintritt grundsätzlich möglich, würde die Rechtsordnung mittelbar einen erheblichen Beitrittsdruck erzeugen. Das verstieße gegen die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers, d.h. die Freiheit, einer Koalition fernbleiben zu können. Ob das BAG daher zu seiner älteren Rechtsprechung zurückkehrt, nach der der Betriebserwerber nur an Tarifabschlüsse bis zum Betriebsübergang gebunden war, bleibt abzuwarten.

Autor: Alexander Pfohl