Aktuelle Compliance-Themen in der Vergaberechtspraxis

Compliance ist für die Privatwirtschaft ebenso wie für die öffentliche Hand ein zentrales Thema. Die öffentliche Hand muss einerseits selbst für die Durchsetzung und Beachtung der vielfältigen gesetzlichen Vorgaben sorgen und steht andererseits selbst als starke Nachfragemacht im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens. Dies gilt insbesondere im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, das zunehmend von politischen Zielen geprägt wird.

Herausgegriffen seien an dieser Stelle die ständig zunehmenden Regelungen an Wettbewerbsteilnehmer öffentlicher Ausschreibungen durch Tariftreue- und Vergabegesetze der Länder, in denen neben Tarifzahlungsgeboten etwa auch Verbote von Kinderarbeit u.ä. enthalten sind.

I. Compliance zur Einhaltung vergaberechtlicher Normen

Für die Unternehmen ist Compliance heute eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, öffentliche Aufträge erhalten zu können. Sanktionen gegen das Unternehmen oder seine Leitung im Zuge strafrechtlicher oder bußgeldrechtlicher Verfahren können schwerwiegende vergaberechtliche Folgen haben, die im Extremfall sogar die Existenz des Unternehmens in Frage stellen können.

Das europäische und nationale Vergaberecht sehen vor, dass nur gesetzestreue und zuverlässige Bieter an einem Vergabeverfahren teilnehmen und den Zuschlag erhalten dürfen. In dem Fall, dass es zu einer „schweren Verfehlung“ gekommen ist, die die Beurteilung als unzuverlässig zur Konsequenz haben kann (Beispiele: Verstöße gegen das Kartell- oder Wettbewerbsrecht; Bestechung von Amtsträgern; Betrug etc.), bildet insbesondere der Aufbau eines Compliance-Systems eine zentrale Voraussetzung für die sogenannte „Selbstreinigung“ des Unternehmens zwecks Wiederzulassung als Bieter bei öffentlichen Aufträgen.

Entscheidet sich der Auftraggeber für einen Ausschluss auf Grund einer schweren Verfehlung des Bieters, ist er in einer Vielzahl von Bundesländern durch Gesetz oder Verordnung zudem gehalten, das Unternehmen einer entsprechenden Registerstelle als unzuverlässig zu melden. Der Eintrag in solche „Korruptionsregister” hat für Unternehmen weitreichende Konsequenzen, da diese „Schwarzen Listen" über Einzelausschlüsse hinaus auf längerfristige Vergabesperren zielen.

II. Leitlinien der Rechtsprechung

Gerade vor dem Hintergrund von Korruptionsregistern und Vergabesperren kommt den Compliance-Maßnahmen von Unternehmen vergaberechtlich eine besondere Bedeutung zu. Zum Thema Vergabesperren hat etwa das Kammergericht Berlin in einem Urteil vom 17. Januar 2011 (Az. 2 U 4/06) Stellung genommen, in dem die bisherige Rechtsprechung bestätigt und weiter konkretisiert wird.

Danach ist eine Vergabesperre, die im konkreten Fall von der Deutschen Bahn „DB-AG" aufgrund einer eigenen konzerninternen Compliance-Richtlinie verhängt wurde, nicht erst dann möglich, wenn sich ein Unternehmen Betrugs-Vorwürfen ausgesetzt sieht, die zu einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung geführt haben. Vielmehr reichen dem Kammergericht hier schon die Feststellungen der teilweise noch nicht rechtskräftigen Strafurteile aus. Auch die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen des Unternehmens (z.B. Kündigung der verantwortlichen Mitarbeiter) waren nicht ausreichend.

Compliance bedeutet auch die Einhaltung höchster Umweltstandards. Die aktuellen vergaberechtlichen Vorschriften fordern den öffentlichen Auftraggebern ab, dass sie bei der Beschaf-fung energieverbrauchsrelevanter Waren, technischer Geräte und Ausrüstungen das höchste Leistungsniveau an Energieeffizienz und, soweit vorhanden, die höchste Energieeffizienzklasse fordern. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jüngst zur Vorgabe von Umweltgütezeichen entschieden, dass öffentliche Auftraggeber Vorgaben aus Umweltgütezeichen fordern dürfen, die Vorgaben jedoch als Spezifikation in die Leistungsbeschreibung zu übernehmen sind, vgl. EuGH, Urteil vom 10. Mai 2012 zur Rs.: C-368/10.

Ein weiteres zentrales Element, das von den Vergabestellen zwingend umzusetzen ist, ist die Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs. Wie die Vergabekammer Sachsen für den Bereich der Postzustellung festgestellt hat, ist auch in Marktbereichen, in denen ein Unternehmen, wie etwa die Deutsche Post „DP-AG", eine marktbeherrschende Stellung besitzt, eine wettbewerbliche Vergabe durchzuführen.

Um einen funktionierenden Wettbewerb herzustellen, hat die Vergabestelle es in solchen Fällen hinzunehmen, dass die Wettbewerbsteilnehmer sich unter Einbeziehung des marktbeherrschenden Unternehmens und dessen Geschäftsbedingungen um den Auftrag bewerben (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 22. Juli 2010, Az. 1/SVK/022-10; OLG Naumburg, Beschluss vom 24. Juni 2010, Az. 1 Verg 4/10).

Aus Sicht der Vergabestellen ist Compliance, also die Einhaltung der vergaberechtlichen Normen, nicht nur unter dem Gesichtspunkt wichtig, aufwendige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden. Es geht vielmehr auch darum, Korruption und Wirtschaftskriminalität vorzubeu¬gen oder auch für die Zukunft abzustellen. Praktische Bedeutung erhielt diese Thematik im Zusammenhang mit der Aufdeckung des Kartells bei Feuerwehrlöschfahrzeugen. Das Bundeskartellamt hatte im Februar 2011 das Kartell aufgedeckt, das bereits seit 2001 bestand und verhängte Bußgelder in Millionenhöhe gegen die Hersteller Iveco Magirus, Albert Ziegler GmbH & Co KG, Schlingmann und Rosenbauer, vgl.www.tagesschau.de/wirtschaft/feuerwehrfahrzeuge100.html. Weitere Hersteller gab es nicht, so dass die Vergabestellen gezwungen waren, mit den verurteilten Unternehmen einen Neustart zu unternehmen.

Die Rechtsprechung hat hierzu sehr pragmatische Leitlinien entwickelt und insbesondere gefordert, dass effektive Selbstreinigungsmaßnahmen umgesetzt werden. Dazu gehören neben der Aufklärung des Sachverhalts auch personelle Konsequenzen und insbesondere auch die Umsetzung von Compliance-Maßnahmen sowie von Plänen zur Schadenswiedergutmachung, vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 14. Februar 2012, Az. VgK-05/2012. Darin heißt es:

„Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Recht wegen fehlender Eignung vom Verfahren ausgeschlossen. Sie hat das Verhalten der Antragstellerin als Beteiligte des Feuerwehrbeschaffungskartells in ihrem Vergabevermerk vom 9. Dezember 2011 ohne Ermessensfehler als Ausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A EG gesehen und mangelnde Zuverlässigkeit der Antragstellerin angenommen. Die Antragstellerin hat mit ihrem unstreitig kartellrechtswidrigen Verhalten eine nachweislich schwere Verfehlung i. S. d. § 6 Abs. 6 lit. c) VOL/A EG begangen. Zur Wiederherstellung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit musste die Antragstellerin einen Selbstreinigungsprozess durchlaufen. Speziell für das Feuerwehrbeschaffungskartell und den außerordentlich schweren Rechtsverletzungen der Beteiligten hat die erkennende Vergabekammer die Anforderungen für eine erfolgreiche Selbstreinigung konkretisiert. Die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit setzt nicht nur voraus, dass das betroffene Unternehmen bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt, personelle Konsequenzen zieht und Compliance-Maßnahmen zur Vorbeugung ergreift, um vergleichbaren Verstößen vorzubeugen."

Die Umsetzung einer funktionierenden und belastbaren Compliance ist somit unumgänglich und muss von der öffentlichen Hand auch kontrolliert werden. Die an einem Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen haben gegen die Vergabestelle einen Anspruch auf sorgfältige Prüfung, ob der jeweils obsiegende Bieter diese Vorgaben einhält.

Dr. Alexandra Losch (Hannover)