Das Ende der Vertrauensarbeitszeit in Deutschland?

Das deutsche Gesetzesrecht sieht seinem Wortlaut nach eine Arbeitszeiterfassung nur in bestimmten Fällen vor. Das BAG (Beschluss vom 13.09.2022) hat jedoch entschieden, dass eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung (d. h. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und damit deren Dauer einschließlich der Überstunden) besteht. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Normierung einer solchen Pflicht leitet das Gericht diese aus einer "unionsrechtskonformen Auslegung" des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG her. Zur Ausgestaltung des Systems der Arbeitszeiterfassung sagt das BAG im Wesentlichen Folgendes: Solange vom Gesetzgeber (noch) keine konkretisierenden Regelungen getroffen wurden, bestehe Spielraum. Die Arbeitzeiterfassung müsse nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen. Je nach Tätigkeit und Unternehmen könnten auch Aufzeichnungen in Papierform genügen. Auch sei es nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung an die Arbeitnehmer zu delegieren.                

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kündigt an, voraussichtlich im ersten Quartal 2023 einen "praxistauglichen Vorschlag" für die Regelung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz machen zu wollen. Bis feststeht, wie die gesetzliche Regelung aussehen wird, sollten sich Arbeitgeber an der oben beschriebenen Rechtsprechung des BAG orientieren. Sie sollten bestehende Zeiterfassungssysteme daraufhin überprüfen, ob sie eine zuverlässige und genaue Erfassung der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) ermöglichen. Ggf. muss die Einführung einer Zeiterfassung bzw. die Anpassung eines bestehenden Erfassungssystems stattfinden. Dabei empfiehlt es sich, solche Lösungen zu suchen, die mit möglichst wenig Aufwand und Kosten verbunden sind, weil die zukünftige gesetzliche Regelung, je nachdem, wie sie aussehen wird, eine Anpassung des Zeiterfassungssystems erforderlich machen kann. Besteht ein Betriebsrat, ist dessen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beachten.



Autor: Dr. Bernhard Heringhaus