Bundesfinanzhof äußert Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Nachzahlungszinsen ab 2015

 

I.

Ausgangslage

 

Soweit Steuernachforderungen vom Finanzamt festgesetzt werden, sind diese gemäß §§ 233a ff. der Abgabenordnung (AO) derzeit mit 0,5 % für jeden Monat zu verzinsen, d.h. im Jahr mit stolzen 6 %. Im Hinblick auf das derzeitige Zinsniveau ist diese Regelung absolut nicht marktkonform. Dies hat nun den Bundesfinanzhof (BFH) veranlasst in seinem Beschluss vom 25. April 2018 - IX B 21/18 (veröffentlicht am 14. Mai 2018) schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken an der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Höhe der typisiert bemessenen Nachzahlungszinsen von 0,5% für jeden vollen Monat - zumindest ab dem Veranlagungszeitraum 2015 zu äußern.

Der BFH hat einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben und die Vollziehung des betreffenden Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt.

 

II.

Gründe

 

1. Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG

Der BFH begründet seine Entscheidung mit der realitätsfernen Bemessung des - seit 1961 unverändert hohen - Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz von 0,5% für jeden vollen Monat überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Im Zeitalter moderner Datenverarbeitung auch in der Steuerverwaltung könnten die Argumente wie Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung, wie sie durch den typisiert bemessenen Zinssatz nach § 233a AO erreicht werden, einer Anpassung an das Marktniveau oder an den Basiszinssatz gemäß BGB nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe der Verzinsung fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe in der Abschöpfung des Nutzungsvorteils, der durch die verspätete Zahlung entstünde.

Zwar müsse der Gesetzgeber die Möglichkeit haben, Sachverhalte, an die dieselben steuerrechtlichen Folgen geknüpft werden, zu typisieren. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler dürfe allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Zudem müsse sich eine gesetzliche Typisierung realitätsgerecht am typischen Fall orientieren.

 

2. Übermaßverbot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG

Es bestünden zudem schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem Übermaßverbot nach dem Rechtsstaatprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Der Gesetzgeber hätte auch von Verfassung wegen zu überprüfen, ob die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus noch aufrechtzuerhalten sei. Dem sei der Gesetzgeber noch nicht nachgekommen.

 

III.

Empfehlung

 

Wir empfehlen gegen entsprechende Zinsfestsetzungen ab 2015 Einspruch zu erheben und die Aussetzung der Vollziehung bei Ruhen des Hauptverfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu beantragen.

Gern sind wir Ihnen bei entsprechenden Einsprüchen und Anträgen behilflich.

 

Ansprechpartnerin

Petra Jaretzke, Steuerberaterin, Hannover

15. Mai 2018