Besteuerung der Abfindung für einen Pflichtteilsverzicht - Änderung der Rechtsprechung des BFH

Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen künftigen gesetzlichen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung).

I. Pflichtteilsverzichtsvertrag

Enterbten Kindern steht ein Pflichtteilsanspruch zu. Will ein Elternteil den Pflichtteilsanspruch eines Kindes ausschließen, kann er mit dem Kind einen Pflichtteilsverzichtsvertrag abschließen. Wird dem Kind eine Abfindung für den Verzicht gewährt, fällt eine Schenkungsteuer an (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG). Für die Berechnung der Schenkungsteuer wird auf das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem die Abfindung zahlenden Elternteil und dem die Abfindung erhaltenden Kind (Steuerklasse I) abgestellt sowie der Freibetrag von Kindern gegenüber ihren Eltern in Höhe von EUR 400.000,00 gewährt (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

II. Erbschaftsvertrag

Ein Kind kann zu Lebzeiten des Elternteils nicht nur gegenüber diesem Elternteil, sondern auch gegenüber „künftigen gesetzlichen Erben“ auf seinen Pflichtteilsanspruch gegen Abfindungszahlung verzichten. Ein derartiger Erbschaftsvertrag (§ 311b Abs. 5 BGB) bietet sich unter Geschwistern in dem Fall an, dass der noch lebende Elternteil wegen einer geistigen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, den Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem betreffenden Kind selbst zu schließen.

Da die Abfindung in einem solchen Fall aus dem Vermögen der Geschwister geleistet wird, liegt eine freigebige Zuwendung von diesen und nicht eine freigebige Zuwendung des Elternteils als künftiger Erblasser vor (vgl. BFH-Urteil in BFHE 241, 390, BStBl II 2013, 922, Rz 10 f.). Allerdings richtete sich die Steuerklasse nach bisheriger Rechtsprechung des BFH nicht nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Geschwistern, sondern nach dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Verzichtenden und dem Elternteil als künftiger Erblasser (BFH-Urteile vom 25. Mai 1977 II R 136/73, BFHE 122, 543, BStBl II 1977, 733; vom 25. Januar 2001 II R 22/98, BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456, und in BFHE 241, 390, BStBl II 2013, 922).

III. Änderung der Rechtsprechung

Der BFH hat in seinem Urteil vom 10. Mai 2017 (II R 25/15) diese - nicht gesetzeskonforme - Rechtsprechung nunmehr ausdrücklich aufgegeben. Der BFH stellt klar, dass für die Besteuerung der Abfindung aus einem Erbschaftsvertrag das Verhältnis des Verzichtenden zu den anderen Vertragspartnern maßgebend ist, und zwar auch hinsichtlich der Steuerklasse (§ 15 ErbStG), des Freibetrages (§ 16 Abs. 1 ErbStG) und des Steuersatzes (§ 19 ErbStG).

IV. Auswirkungen in der Praxis

Die Rechtsprechungsänderung hat erhebliche Auswirkungen in der Praxis.

Vereinbaren z. B. Bruder und Schwester in einem Erbschaftsvertrag, dass die Schwester gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von EUR 500.000,00 auf ihren Pflichtteilsanspruch nach dem gemeinsamen Vater verzichtet, fiel nach bisheriger Rechtsprechung des BFH eine Schenkungsteuer in Höhe von EUR 11.000,00 an (Steuerklasse I, Freibetrag nach Verhältnis Vater-Kind: EUR 400.000,00, Steuersatz 11% auf EUR 100.000,00). Nach der nunmehr geltenden Rechtsprechung des BFH beläuft sich die Schenkungsteuer hingegen auf EUR 120.000,00 (Steuerklasse II, Freibetrag unter Geschwistern: EUR 20.000,00, Steuersatz 25% auf EUR 480.000,00).

Ansprechpartnerin

Siegrid Lustig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Erbrecht, Hannover

5. September 2017