Anreden im Sinne der Diversität richtig gestalten – Abmahnungen vermeiden

Eines der Themen dieser Zeit ist die Diversität der Geschlechter. Menschen mit einer nicht-binären Geschlechtsidentität sehen sich oft mit veralteten Geschlechterstrukturen konfrontiert. 

So ging es auch der klagenden Person im Fall des LG Frankfurt am Main (Urteil vom 3.12.2020, AZ 2 - 13 U 131/20). Die Beklagte vertreibt Produkte und Dienstleistungen, unter anderem über das Internet. Die klagende Person hat eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Sie besuchte die Webseite der Beklagten und musste zum Erwerb der Ware ein Formular ausfüllen, bei dem für die Anrede nur „Herr“ oder „Frau“ zur Auswahl stand.

Auch um sich als Kunde bei der Beklagten zu registrieren, war zwingend die Entscheidung zwischen der Anrede „Herr“ oder „Frau“ erforderlich. Eine geschlechtsneutrale Option stand nicht zur Verfügung. Die klagende Person entschied sich für die Bezeichnung „Herr“ und wurde darauf so in der ihr zugesendeten Rechnung angesprochen.
Mit Schreiben vom 10.12.2019 ließ die klagende Partei die Beklagte abmahnen. Sie forderte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung sowie die Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. 5000 €.

Als Anspruchsgrundlage berief sich die klagende Person auf Art. 21 Abs. 2 S. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie § 23 Abs. 2 S. 1 und 3 AGG i.V.m. §§ 249 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB und verlangte ferner Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Es erging ein Versäumnisurteil, in welchem dem Unterlassungsanspruch der klagenden Personen stattgegeben wurde. Gegen dieses Versäumnisurteil legte die Beklagte Einspruch ein. 

Das Landgericht Frankfurt gab der Klage hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs und der Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten statt, lehnte aber den Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Geld ab. Es stellte klar, dass ein Unterlassungsanspruch nach dem AGG nicht besteht, da kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG gegeben war. Hiernach müsste allein durch die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses die klagende Person benachteiligt worden sein. Der Zwang, eine geschlechtliche Anrede zu wählen, hatte jedoch keinen hinreichenden Bezug zu der vertraglichen Leistung. Diese war für alle Käufer gleich. Auch andere benachteiligende Vertragsklauseln waren nicht ersichtlich. Eine vertragliche Nebenpflicht, Diskriminierungen zu unterlassen, würde im Bereich des AGG zu einem unzulässigen Zirkelschluss führen, der stets eine Benachteiligung zur Folge hätte.

Der klagenden Person stand jedoch ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog wegen der Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts zu. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die Zuordnung zu einem Geschlecht als Zeichen der individuellen Identität. Diese Geschlechtsidentität drückt sich insbesondere über die Anrede aus, sodass diese auch vom Persönlichkeitsschutz umfasst ist. Bei Abwägung der schutzwürdigen Interessen erweist sich der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der klagenden Person als rechtswidrig. Aus dem Umstand, dass auch andere Großunternehmen oder Behörden nur die Anreden „Herr“ oder „Frau“ verwenden, ließ sich kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten herleiten. Insoweit gilt der Grundsatz „Keine Gleichheit im Unrecht“. 

Der Beklagten standen auch mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, dem Unterlassungsgebot zu entsprechen: Auf eine Anrede kann entweder ganz verzichtet werden oder es können allgemeine Begrüßungen, wie z.B. „Guten Tag“ verwendet werden. Das Weglassen einer Anrede ist im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht unbedenklich.

Hingegen bestand aufgrund dieser Persönlichkeitsrechtsverletzung kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung. Dieser wäre nur gegeben, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff gehandelt hätte und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden konnte. Hier war zu berücksichtigen, dass der Beklagten nur ein geringes Verschulden zur Last gelegt werden konnte. Zudem handelte es sich um ein einzelnes Schreiben, das allein an die klagende Partei gerichtet war. Weiterhin hat sich die Beklagte im weiteren Schriftverkehr sehr verständig gezeigt. Mangels schwerwiegenden Eingriffs wurde daher keine Geldentschädigung zugebilligt.

Praxistipp: Der dreiteiligen Geschlechteridentität sollte im Geschäftsleben umfassend Rechnung getragen werden. Zu achten ist insbesondere darauf, dass bei jeglichen Registrierungen, Anmeldungen und Bestellungen im Internet und mittels Formularen nicht nur die Anrede „Herr“ oder „Frau“ angeboten wird, sondern z.B. auch „Name“. Bei der Wahl „Name“ hieße die Anrede dann z.B. „Sehr geehrte(r) Jill Mayer“ oder „Hallo Jill Mayer“. 
Auch wenn ein immaterieller Schadensersatz Anspruch abgelehnt wurde, birgt die dargestellte rechtliche Problematik ein hohes Abmahnrisiko. Dieses kann durch recht leichte Änderungen vermieden werden, die gleichzeitig veranschaulichen, dass man die nicht-binäre Geschlechtsidentität respektiert.


Dr. Karolin Nelles LL.M., Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main