Mögliche Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer

Mögliche Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer

Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts an das Bundesverfassungsgericht

I.                   Die Abgeltungsteuer - Hintergrund

Seit dem 1. Januar 2009 werden Einkünfte aus Kapitalvermögen, insbesondere Zinsen und Dividenden, mit einem Einkommensteuersatz von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer besteuert. Dabei wird die Steuer von dem jeweiligen Gläubiger der Einnahmen aus Kapitalvermögen, insbesondere von Banken, als Kapitalertragsteuer einbehalten und direkt an das Finanzamt abgeführt.

Es handelt sich um eine "Abgeltungsteuer". Die abgeführte Steuer stellt keine Vorauszahlung auf die persönliche Einkommensteuer dar. Die Steuerpflichtigen müssen die entsprechenden Kapitaleinkünfte nicht in der Steuererklärung angeben, auch wenn der persönliche Einkommensteuersatz über 25 % liegt. Ist der persönliche Einkommensteuersatz geringer als 25 % können die Steuerpflichtigen zu viel gezahlte Abgeltungsteuer vom Finanzamt im Rahmen der sog. „Günstigerprüfung“ zurückfordern.

Die Verminderung des Steuersatzes auf 25 % sollte seinerzeit Kapitalanlegern einen Anreiz bieten, Kapital in Deutschland statt im Ausland anzulegen und zu versteuern. Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück brachte die Gesetzesintention mit dem Satz auf den Punkt: "Lieber 25 % auf x als 42 % auf nix". Außerdem sollte sich durch die Abgeltungsteuer eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für die Steuerpflichtigen ergeben.

Nun – nach 13 Jahren - hält der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts die Vorschriften über die Abgeltungsteuer in § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG (Abgeltungsteuer) für mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar und hat sie dem Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18. März 2022 (7 K 120/21) zur Prüfung vorgelegt.

Sachverhalt

Der Kläger, ein selbstständiger Versicherungsmakler, erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die mit seinem persönlichen Einkommensteuersatz - von über 25% - besteuert wurden. Daneben erhielt er auch Einkünfte aus Kapitalvermögen, insbesondere Gewinnausschüttungen und Zinsen, die mit der Abgeltungsteuer von 25 % besteuert waren.

Eine Betriebsprüfung ordnete dem Kläger Provisionszahlungen zu, die bisher einer anderen Person zugerechnet worden waren. Das beklagte Finanzamt erhöhte dementsprechend die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die Einkommensteuer des Klägers. Hiergegen wandte sich der Kläger und trug vor, die Provisionen seien ihm zu Unrecht zugerechnet worden. Zudem sei bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen der Ansatz des Sparer-Freibetrages unterblieben.

Erwägungen des Senats

Das Finanzgericht folgte der Auffassung des Klägers und hielt die Erhöhung des Gewinns für unzutreffend. Auch zu Unrecht sei der Sparer-Freibetrag nicht berücksichtigt worden.

Dennoch hatte die Klage keinen Erfolg, da die gegenüber dem Kläger festgesetzte Steuer auf die Kapitaleinkünfte nach Auffassung des Finanzgerichts zu niedrig festgesetzt wurde.

Der Senat gelangte zu der Überzeugung, dass die Anwendung der Abgeltungsteuer auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen zwar auf Grundlage der geltenden Gesetzeslage zutreffend erfolgt sei, aber die zugrundeliegenden Vorschriften gegen die in Art 3 Abs. 1 GG verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen würden und daher verfassungswidrig seien.

Die Abgeltungsteuer führe zu einer Ungleichbehandlung zwischen den Beziehern von Kapitaleinkünfte und den übrigen Steuerpflichtigen. Während die Bezieher von Kapitaleinkünften mit einem Sondersteuersatz von 25 % abgeltend belastet werden, unterliegen die übrigen Steuerpflichtigen einem Steuersatz von bis zu 45 %.

Das Finanzgericht vertritt die Auffassung, dass die Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen: Die Abgeltungsteuer sei nicht zur Verwirklichung eines effektiven Steuervollzugs oder zur Beseitigung eines etwaigen strukturellen Vollzugsdefizits geeignet. Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen Geeignetheit der Regelung sei die Erforderlichkeit zwischenzeitlich entfallen, da sich seit dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer in 2009 die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, im Ausland befindliches Vermögen zu ermitteln, stark verbessert hätten. Die Abgeltungsteuer sei weder zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet noch führe sie zu einer wesentlichen Vereinfachung im Besteuerungsverfahren.

Es bleibt abzuwarten, was das Bundesverfassungsgericht irgendwann entscheiden wird. Sollte es den Argumenten des Finanzgerichts folgen, werden größere Reformen anstehen und die Besteuerung von Kapitaleinkünften wird „teurer“ werden. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.

Hannover, den 31. Mai 2022  

Ansprechpartnerin: Petra Jaretzke

Tel.:  0511/53460-0

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Autor: Petra Jaretzke